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[ Band 1 Brief 19: Humboldt an Caroline Dessau, 15. Januar 1790 ]
wecktest sie in mir, diese Kraft, Du gabst mir, was ich nie ge- nossen hatte, das Gefühl, ganz und einzig geliebt zu werden. O! Lina, das Glück meiner Tage wird Dein Dank sein! — Die Natur schuf uns für einander, oder — ach! daß mein Herz noch so oft nicht Mut hat, das Grenzenlose Deiner Liebe zu fassen — sie gab nur Dir die Fähigkeit, mich zu beglücken. Wie so alles in uns immer eins war. Wie so immer gleiche Höhe, gleiche Weite der Empfindung, wie in uns beiden der äußere und innere Sinn immer so gleich zusammenschmolz, wie in uns beiden immer jener diesem gleiche Glut lieh, und in uns beiden immer dieser jenen auf gleiche Weise verschlang! Hätte ich Dich nie gefunden, so hätte ich wohl glücklich sein können, aber den höchsten Grad des Glücks hätte ich nimmer erreicht. Und doch fühl ich’s, daß meine Liebe noch immer höher, schöner werden wird. Meine Seele ist noch nicht groß genug, die Deine ganz zu umfassen, so vieles ahndet sie nur erst, so vieles liegt erst dämmernd vor ihr da. Aber Liebe erhöht die Kraft, und mit der Kraft wächst auch wieder die Liebe. Daß Du so gar nicht fühlst, wie so unendlich viel Du bist, meine Lina! Diese Stille, diese Bescheidenheit, diese Innigkeit in Dir reißt mich zu so entzückender Bewunderung hin. Wie alles so tief in Dich eingeht, so fest in Dir haftet, so schwer sich wieder losreißt! Du bist so ganz, was Du bist, trennst Dich so gar nie von der Masse aller Deiner Empfindungen! Und diese Empfin- dungen beruhen alle auf so feinen und tiefen Ideen und erhalten dann Leben und Glut von einem so feinen Schönheitssinn, der ihnen so viel von den äußern Sinnen borgt und doch nie das Seelen- volle in ihnen mindert. Dies mir zu denken, Dich, wie ich Dich empfand, wie Du in mich übergingst, mir darzustellen, zu bilden — beschäftigt mich jetzt unaufhörlich. Dann kehrt jede Szene unsrer Liebe in meiner Phantasie 71