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[   Band 1 Brief 9:    Caroline an Humboldt     [Erfurt], Mittwoch abends, den 21. Januar 1789   ]


9. Caroline an Humboldt [Erfurt], Mittwoch abends, den 21. Januar 1789

Seit Du fort bist, hast Du mich nicht verlassen, Dein Bild
lebt in meiner Seele und die Erinnerung der Vergangen-
heit umschwebt sie. Lebhafter wird sie in Stunden der
Stille wie diese, wo nicht Äußeres mehr mich stört und ich mich
ganz dem Andenken meiner Lieben überlasse. Glücklich und ruhig
fühle ich mich in der seligen Gewißheit einer dauernden Liebe und
erhaben über die Leiden der Erde im Gefühl der meinigen, die mir
auch das Schwerste erleichtern würde, um ihrer würdiger zu werden.
Dein Abschied, Wilhelm, der Augenblick, wo Du gingest, fühlst
Du auch, wie mir war? Ich konnte kein Wort hervorbringen, mein
Herz war fürchterlich gepreßt, aber es ging bald vorüber, wie ich
wieder allein war und mich sammeln konnte. Eine stille Wehmut
trat an die Stelle meines Schmerzes, und sie ist seitdem meine
freundliche Begleiterin gewesen. Ich liebe diese Stimmung der
Seele, sie führt uns tiefer in uns selbst zurück und zeigt uns
die Dinge außer uns in ihrem wahren Lichte. Meinem Wesen
ist sie die angemessenste, beste, das gleich entfernt von düstrer
Schwermut und lächelnder Freude für sie von der Natur bestimmt
scheint.
Ich bin glücklich, mein Wilhelm, voll Ruhe im Innern des
Herzens. Dank für die Stunden, die Du mir so freundlich ge-
schenkt. Du hast mir viel gegeben, Du fühlst es. Auch bei dem
eifrigsten Streben und Willen zur Fortschreitung gibt es zuweilen
Augenblicke, in denen man neuer Ermunterung bedarf, nichts gibt
sie mehr, als der sanfte Zuspruch der Liebe und Freundschaft.
Wie schöpft ich sie, diese Ermunterung, aus Deinen liebevollen
Blicken, mein trauter Wilhelm, aus dem Anschauen Deiner schönen
reinen Seele, Deines aufstrebenden Geistes, aus dem Gefühl Deiner

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