< zurück      Inhalt      vor >                                          
[   Band 1 Brief 61:    Humboldt an Caroline    [Berlin], den 26. Juni 1790   ]


edle, hohe und gehaltene Stimmung, und wenn sie sich einmal hin-
gibt, so unendliche Fülle der Empfindung. Sympathisieren könnt
ich nie mit ihr. Ihr Leben unter den platten Menschen, ihr Un-
glück selbst gibt ihr so eine Härte der Verzweiflung oft; so ein
Lachen, weil man nicht weinen mag, ist so oft in ihr, sie ist mir
das lebhafteste Bild mutwilliger Zerstörung einer schönen, herrlichen
Blüte, so oft ich sie sehe, und so wechselt Bewunderung und Be-
dauern in mir. Und von allen anderen ist sie so ummauert, es
sieht keiner in sie, selbst Jette nicht, mit der sie doch am vertrautesten
ist, diese Einsamkeit verödet sie noch mehr. Gegen mich nimmt sie
sich unendlich schön, und doch kann ich ihr so wenig sein, seh ich
sie selbst so selten. Verzeih mir, Lina, es wird Dir unrecht an mir
scheinen. Aber ich kann nicht. Mein Herz ist jetzt ausschließend
von einem Gegenstande gefüllt, o Du, Du meine Lina, lebst und
webst überall in mir. Dein Bild schwebt unaufhörlich mir vor, ich
sehe die anderen wohl wahr, wie sie sind, aber sie bleiben mir
fremd, heimisch in mir kann ich nur Dich denken. Das Schicksal
wirft mich aber auch in so eigene Verhältnisse, und ich suche sie
jetzt doch gar nicht. Hier ist noch eine Frau — auch eine Jüdin,
versteht sich — mit der ich in Verbindung kam, weil ihre Freundin
die Verlobte eines meiner Freunde ist und ich diese nur bei ihr
sehen konnte. Die Freundin interessierte mich nur, und darum gab
ich so wenig acht auf die Fränkel, so heißt die Frau. Erst nach
und nach, da wir bei einigen Gelegenheiten näher traten, lernt ich
sie mehr kennen. Sie ist ein unendlich zartes, weiches und graziöses
Wesen. Dabei besitzt sie so eine Art Stärke, nicht die Stärke, die
uns auch in uns das Drückende weniger achten läßt, nein, mehr
die Güte, dies Drückende nie andere blicken zu lassen. Schon lang
merkt ich, daß sie mir gut wäre, aber seit einigen Wochen erschien
sie mir so sonderbar. Es war mir, als hielt sie etwas in sich zurück,
und wenn ich allein mit ihr war und ich sie bat, sich ihren

                                                                       179