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[   Band 1 Brief 81:    Humboldt an Caroline    [Berlin],  10. Oktober 1790, nachts nach 12 Uhr   ]


lassen, damit ich das Gefühl habe, etwas zu tun, weil’s Li will.
Springe auch nicht mehr mit dem Pferde, als ganz, ganz niedrig.
Will aber auch das lassen. Sag nur.


82. Caroline an Humboldt     [Erfurt], Montag abend,
                                        11. Oktober 1790

Ich lese wieder den Plutarch. Man verliert sich selbst bei
der Betrachtung dessen, was diese Menschen taten, was
sie litten und trugen. Ach, wenn man seine Existenz nicht
zu genießen vermag, so ist Vergessen seines Selbst die einzige Mög-
lichkeit des Daseins — an Deiner Seite würde mir die Geschichte
der Helden der Vorzeit die Seele wecken, fern von Dir wiegt sie
mich ein, und ich fühle mich selbst nicht mehr. Ach, Du zürnst
nicht, mein Wilhelm, wenn ich in jedem Moment zu Dir komme,
Dir sage, wie mir ist, und meine Tränen an Deinem Busen
weine — Du bist ja so mild, so nachsichtig und trägst mich er-
barmend am Herzen, an Deinem einzigen, heiligen Herzen. O, es
ist auch noch manches Gute an mir — liebe mich immer, obschon
ich Dich nicht verdiene — wer verdiente Dich! Du großes, Du
unaussprechliches Wesen. ——— O verzeih, verzeih, wenn ich Dir so
schreibe — es ist so menschlich, so süß und meinen geheimsten
Empfindungen so augemessen, zu bitten — Dich zu bitten, Du
Einziger, nicht um das Glück meines Daseins — nein, um das
Dasein selbst, denn das ist mir Deine Liebe, laß mich hingegossen
vor Dir Deine Knie fest umschließen und mit nassen Blicken zu
Dir hinaufsehen und bitten — ach, ich fühle in demselben Mo-
ment doch Deine Liebe, Deine wahrlich überschwengliche Liebe!
O, wenn das allbelebende Gefühl mir einen Augenblick mangelte,
es endete bald — so wandelt’s in Wonne den Schmerz, und Ein-

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