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[   Band 1 Brief 147:    Humboldt an Caroline    Buttelstädt, 1. Mai 1791, 11 Uhr   ]


in den ersten Wochen. In unbekannte Gegenden wäre ich mutig
gefolgt, ich hoffte ja so wenig von dem Schicksal hier. Anders ist
es mir jetzt. Ich bin weher als damals, und meine Tränen fließen
häufiger. Ach! es ist so menschlich, zu dulden. Aber es ist auch so
menschlich, zu hoffen und zu ahnden, und mein ganzes Dasein hängt
an Hoffen und Ahnden. Zuversichtlich gewiß steht die Zukunft
vor mir da. Li, ich komme zurück, wir sind glücklich; o! traue dem
Blick in die schleierlose Wahrheit, zu dem Deine Liebe mir Kraft
verleiht. Es vergeht nichts durch ein äußeres Schicksal. Von innen
heraus stirbt der Mensch, und sein Gefühl ist es, das ihn ver-
nichtet. Wenn kein Ausweg mehr übrig ist, wenn es alle Kräfte
erschöpft hat, dann entreißt es sich einem undankbaren Dasein —
oder wenn es erschöpft hat den Kreis menschlichen Genießens,
menschlichen Bildens, so steigt es zu höheren Regionen, zu neuem
Leben empor — so ahnde ich kurz hinblühend das Glück, das nun
bald, so bald unser ist. Wo es aber noch Kraft und Freiheit hat,
jedem eigen gewählten Gange zu folgen, und wo es noch nicht jede
Blüte pflückte, da lebt es und weilt und hängt an dem Menschen-
leben wie an einem süßen, lohnenden Geschenk der Gottheit, und
so bin ich unsres Wiedersehens gewiß. Fasse die beglückende Ge-
wißheit, Li, fasse sie, nimm die glühenden Küsse und bleibe, o bleibe
Deinem Wilhelm.


148. Humboldt an Caroline             Naumburg, 1. Mai 1791, 6 Uhr

Nur wenig Zeilen werd ich Dir von hier schreiben können,
mein holdes Wesen. Eben komme ich an und habe also
gleich zu Ussels schicken müssen. . . .
Was machst Du, mein trautes, süßes Leben? Ach! ewig
umschwebt Dich meine sorgsame Liebe. Tausendmal hab ich mir

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