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[   Band 2 Brief 107:    Humboldt an Caroline    Marino, 2. Oktober 1804.   ]


Menschen immer so eine Art heiliger Scheu gehabt, etwas über
uns zu sagen, daß sie es schwerlich je nur halblaut getan haben.
Unbegreiflich ist es überhaupt, wie Rehberg mit seinen Albernheiten
könnte Glauben gefunden haben, da doch mehrere aus Deutschland
uns hier jetzt gesehen hatten und in der Art unsres Zusammenseins
das Gegenteil müssen gefunden haben. Übrigens ist Rehberg nach
Petersburg gegangen. Er schreibt mir aus Helsingör. Für meinen
Empfang sei ruhig. Ich bin immer sehr kalt gegen ihn gewesen,
und Du erinnerst Dich wohl, liebe Li, daß ich mich manchmal ge-
wundert habe, daß Du freundlicher mit ihm warst. Er ist ein elender
und gewiß schlechter Mensch.
Überhaupt, liebe, teure Li, der Menschen, die eigentlich durch
ihre schlichte Natur gleichsam genötigt das Rechte erwählen, die
idealisch sind ohne schwärmerisch, und natürlich ohne gemein zu sein,
die menschlich in jeder Rücksicht dem rein menschlichen Charakter
noch ein Gepräge der Eigentümlichkeit aufzudrücken verstehen, deren
gibt es unendlich wenige. Du bist so, möchte es uns möglich sein,
unsre Kinder Dir gleich zu machen. Das ist mein einziger und
mein heißester Wunsch. Wenn sie, bis sie erwachsen sind, unter
Deinen Augen leben können, verzweifle ich nicht daran. In Carolinen
liegt viel, sehr viel, und über alles noch eine Anlage, sich allein
und ohne fremde Hilfe zu entwickeln. Glaube mir, Du hilfst den
Kindern unglaublich, das Machen und alles Tun ist wenig. Nur
das Wahre und Rechte und Eigentliche immer vor sich zu sehen,
immer um sich zu empfinden, stärkt und veredelt wie die Luft, die
man einatmet. Ach! ich sage es Dir so oft, damit Du Dich mehr
schonst, Dich nicht bloß meiner Liebe, auch den Kindern erhältst.
Werde auch nicht zu unsicher über ihre physische Existenz. Ich
fühle wohl, wie Wilhelms Tod Dich unsicher gemacht hat. Aber
das war ein Schlag, der kommt nicht wieder, mit Sorgsamkeit
bleiben uns die übrigen. Der arme Wilhelm hatte zu seinem Un-

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