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[   Band 3 Brief 66:    Humboldt an Caroline    Königsberg, 21. April 1809   ]


66. Humboldt an Caroline            Königsberg, 21. April 1809

Der Krieg, liebe Li, zwischen Frankreich und Österreich ist
nach der bei Abgang des Erzherzogs Karl und des Kaisers
aus Wien ergangenen Proklamation so gut als erklärt,
und ich bin daher nicht wenig um unsern Briefwechsel besorgt. . . .
Ich bin nun acht Tage hier und es geht mir sehr leidlich. Das
Klima ist viel sonderbarer als in Berlin. Vorgestern war auf
einmal wahre Sommerwärme. Heute ist’s wieder rauh, und vom
Schnee, der noch kommen wird, reden die Leute mit vieler Ge-
mütlichkeit. Ich ziehe in ein Haus, das weit entlegen ist, aber
einen hübschen Garten hat und nicht weit vom Strom ist. Die
Einsamkeit ist mir lieb, und die Bewegung, die ich davon gezwungen
habe, gesund. Dabei ist der Strom mit jetzt nicht sehr vielen, aber
doch immer noch zahlreichen Schiffen das schönste hier. Ich habe
neulich ein ziemlich großes Schiff vom Stapel laufen sehen. Es
sieht sehr hübsch aus. Ich stand mit vielen Menschen gegenüber.
Im ersten Augenblick geht das Schiff so tief, daß man denkt, es
erreicht den Grund, und das Schäumen des Wassers um den
Schnabel ist sehr malerisch. Aber hernach setzt es sich ins Gleich-
gewicht und rennt so schnell und keck gegen das jenseitige Ufer, daß
die Menschen aus Furcht, als würde es auflaufen, sich zurückzogen.
Ich habe dabei an unsere Stettiner Reise gedacht. Wie-
viel schöner war damals alles. Ach, liebe Li, ich klage ungern,
doch ist nicht zu leugnen, daß unser Schicksal jetzt sehr trüb ist,
Du kannst nicht kommen, ich nicht gehen. Der Krieg ist ein neues,
furchtbares Hindernis für alles. Am meisten kümmert mich jetzt
das nächste, Deine Niederkunft. Wenn Du diese Zeilen bekommst,
liegt Dir das Kleine schon im Arm. Wenn nur Kohlrausch auf
mehreren Wegen schreibt, um mir den Brief gewiß zuzubringen.
Aber die entsetzliche Ferne!

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