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[   Band 3 Brief 80:    Humboldt an Caroline    Königsberg, den 2. Junius 1809   ]


80. Humboldt an Caroline         Königsberg, den 2. Junius 1809

Ich wage noch nicht zu sagen, ob Theodors Fleiß sich jetzt
erhalten wird. Wenn er es tut, so ist die Periode in ihm
gekommen, die ich erwartete, wo nämlich sein Kopf eine
bestimmte Wendung nimmt. Jeder Mensch hat sie. Bei Alexander
kam sie sehr spät, fast wie ich schon in Göttingen war. Vorher
wußte er zwar recht viel, hatte aber nur immer so aus einzelnen
Antrieben von Ehrgeiz gearbeitet. Bei mir kam sie früh, kündigte
sich aber mehr mit Fleiß als Geist an. Ein etwas freieres Talent
und eine Art Witz zeigte sich erst mit den Anfängen der Ver-
liebtheit.
Ich, liebe Li, führe mein Leben so ruhig und ziemlich un-
bedeutend fort. Außer der Sehnsucht nach Dir und jetzt einer
Ängstlichkeit, die mir nur die Nachricht Deiner glücklichen Ent-
bindung nehmen kann, nicht gerade traurig oder langweilig. Wie
mit den Orten, geht es mir mit den Geschäften. Was ich tue, gewinne
ich lieb und erweckt mein Interesse, und führt mich auch in mir
weiter fort. Ich bringe jetzt manchmal ganze Vormittage in bloßen
Elementarschulen zu. Bisher taten das die Minister nicht und
blieben der Sache und die Sache ihnen fremd. Ich komme, ohne
daß man es weiß, die Lehrer bleiben in Furcht, wenn sie schlecht
sind, da ich, wie noch heute bei einem, der keinen Vers im Homer
richtig übersetzte, mit frage und korrigiere, und finden sich durch
den Anteil erfreut, wo sie gut sind. Dann ist’s immer amüsanter,
als Akten lesen. Man hört doch schöne Töne; höre ich freilich,
daß die armen Jungens in einer dunkeln jämmerlichen Stube (die
Schulhäuser sind hier fürchterlich) vom Soracte und Tiber lesen, so
wird mir wunderbar zumute, daß ich ehemals da sein konnte
und nun in eine so dumpfe Öde gebannt bin, aber auch das gibt
hübsche gotische Gefühle, kurz, ich bleibe immer dabei, glücklich

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