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[   Band 3 Brief 102:    Caroline an Humboldt     Albano, 5. August 1809   ]


102. Caroline an Humboldt                  Albano, 5. August 1809

Ich habe heute keine Briefe von Dir gehabt, mein teures
und geliebtes Wesen. Es ist heute der 5., und diese
Tage bis zum 15. sind voll der allerallerschmerzlichsten
Erinnerungen. Wir fuhren mit Wilhelm in einer Hitze, ungefähr
wie die heutige, nach Rom herein. Ach, mit diesem Tag hat das
Weheste des Lebens begonnen.
Ich bin aufs tiefste, aufs allertiefste gerührt worden durch das,
was Du in einem Deiner letzten Briefe über den Tod sagst —
ja, wohl ist er eigentlich ein Vermittler zwischen Tod und Leben
und stellt das Schöne und Geliebte vollendet und abgeschlossen zur
Bewunderung der Welt hin. Nur, wenn er in so blühendem
Alter das Geliebte trifft, so hat er für den Moment des Scheidens
auch noch das besonders Schmerzliche, daß er die Hoffnungen und
Träume und Ahndungen der Seele zerstört und gewaltsam ab-
schneidet. Bei einem Erwachsenen sind sie zum Teil erfüllt, man
weiß, er selbst hat empfunden, wohin sich alles im Gemüt neigt,
aber bei einem vielversprechenden Kinde liegt das Leben ver-
schlossen wie die duftende Blume in der vollstrotzenden Knospe.
Der Tod gesunder, wohlorganisierter Kinder ist daher von allen
Toden der schrecklichste, der unnatürlichste eigentlich.
Der Scirocco war drei Tage so, daß man nicht atmen konnte.
In Rom stand das Thermometer alle Abend 5 Uhr noch auf
29 1/2 Grad. Meer und Himmel waren mit einem dicht unbe-
weglichen Schleier bedeckt, der sie verband. Mir fiel tausend-
mal ein: »Keine Luft von keiner Seite, Todesstille fürchterlich.« *) usw.
Ich glaubte jeden Augenblick, wir würden ein Erdbeben bekommen.
Nun ist es etwas besser.

———
*) Aus Goethes »Meeresstille«.

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