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[   Band 3 Brief 114:    Humboldt an Caroline    Königsberg, 19. September 1809   ]


ich bin nichts ohne das. Dein Dasein hat sich indes in den
Kindern vervielfacht, wir sind eins mit ihnen geworden, wie könnte
ich da einen andern Gedanken haben, als Dich und Dein Glück,
wie könnte ich Dich so herabziehen wollen in die hiesigen Um-
gebungen, wie müßte ich mich nicht freuen, daß Du noch frei und
schön und von allem Großen und Schönen umgeben lebst? Ich
fühle darum auch nicht minder, wie Du Dich nach mir, auch bloß
nach mir ohne Rücksicht auf Theodor, wenn sich das trennen ließe,
sehnest, wie Du vielleicht manchmal selbst lieber hier mit mir wärest,
als dort allein. Aber die Freude an Deiner schönen Existenz besiegt
immer jede andere Betrachtung in mir, die Hoffnung, die einen
nie verläßt, selbst auch wieder dorthin zu kommen, oder Dich in
Deutschland, wenn jenes nicht möglich ist, wiederzusehen, hält mich
von einem Tag zum andern hin und trägt mich durch viele, nicht
angenehme Augenblicke hindurch, und immer bleibt es dabei, und
wäre es auch der unauflöslichste Widerspruch, daß ich doch traurig
sein werde und sehr traurig, wenn ich höre, daß Du Rom ver-
lässest. Meine Freude, Dich wieder zu umarmen, wird darum nicht
minder sein. Du hast sie gesehen, als Du nach Rom zurückkamest,
hast gesehen, wie ich mich nur auf Augenblicke von Dir losreißen
konnte, alles, alles wird wieder so sein, wir bleiben uns ewig
gleich. Aber das tiefste Wesen im Menschen ist einmal voller
Widersprüche, und ich vielleicht bin es mehr wie ein anderer, vor
allem, wenn ich nicht bei Dir bin. Bei Dir geht das Leben so
froh und glücklich hin, ach! und nur wenn die Welle sich bricht,
wird die dunkle Tiefe sichtbar. Ich bin ohne Dich durchaus ein
andrer Mensch, viel reizbarer, viel wunder, viel ungewisser mit
mir selbst und andern. Ich habe nicht die Selbständigkeit wie Du,
es ebbt und flutet, und nur von Dir empfange ich mehr innere
Haltung. Es muß Dich nie wundern, liebe Seele, daß ich Dich
als das Höhere ansehe. Du bist es und ich kann es nicht anders.

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