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[   Band 3 Brief 207:    Humboldt an Caroline    Berlin, 10. Julius 1810   ]


meine und Carolinens *) Briefe lagen. Ich habe das ganze Haus
in Erfurt umgekehrt, um ihn zu finden, und immer vergebens.
Caroline quälte mich auch, im Nachsuchen nicht nachzulassen. Aber
er war und blieb nicht aufzufinden. Vor mehreren Monaten schon
hat mir Kunth einen ungeheuren Kasten von Papieren geschickt,
die er nach der Franzosenplünderung in Tegel zum Teil vom
Misthof aufgelesen hat. Da alles wie Kraut und Rüben durch-
einander lag, so habe ich immer nicht Zeit und Mut gehabt, daran
zu gehen und es genau zu untersuchen. Jetzt endlich, da ich mehr
Zeit habe und alles durchsehen muß, habe ich mich daran gemacht,
und siehe, unter vielen anderen Dingen habe ich eine Partie dieser
Briefe gefunden. Es ist also offenbar, daß man den Kasten, der
in Tegel gewesen sein muß, aufgemacht und vermutlich ge-
stohlen hat; die Papiere sind herausgerissen und größtenteils zerrissen
oder verschmissen worden, und die Trümmer hat endlich Kunth aus
dem Schiffbruch gerettet.
Es hat mir unendlich weh getan, was uns so heilig ist,
so entweiht und zerstört zu sehen. Es ist unbeschreiblich, was
die bloße Form der Buchstaben aus einer bestimmten Lebens-
epoche, — und Deine haben sich, wie ich sie nun seit Deinem
fünften Jahre beisammen habe, sehr merkwürdig und immer zu
schöneren und charakteristischeren verändert, — eine magische Kraft
besitzt. Ich habe gestern bis zwei Uhr in der Nacht nicht davon
kommen können und immer gelesen und wieder gelesen. Es ist
unbeschreiblich, wie schön Du immer geschrieben hast, wie so un-
endlich aus der vollen Tiefe einer reich und innig bewegten Brust,
und über jede Schilderung rührend, wie unendlich Du mich auch
damals liebtest.
Weil es Dir vielleicht Freude machen könnte, Dich einen
Augenblick in jene Zeit zu versetzen, lege ich Dir ein Blatt von

———
*) v. Wolzogen.

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