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[   Band 4 Brief 2:    Humboldt an Caroline    Karlsbad, Montag, 15. Junius 1812    ]


Stadt. So siehst Du, welchen Herrlichkeiten ich entsagt habe. Der
Kaiser *) schreibt der Kaiserin täglich acht bis zehn Seiten eigen-
händig über alle kleinen Begegnisse seiner Reise, seines Lebens, und
voll Zärtlichkeit. Dies ist unumstößlich wahr.
Stein **) ist in russische Dienste getreten. Er hat es so heimlich
betrieben, auch sich so schnell entschlossen, daß es selbst seine Frau
nur einen Tag zuvor erfahren hat und außer sich gewesen ist.
Das ist ein eigenes eheliches Verhältnis und nicht so altdeutsch, als
Stein sonst ist. Ich fürchte, der Schritt gereut ihn. Er soll bei
den Finanzen oder beim Kultus angestellt werden. Die Frau kommt
vermutlich nach Wien oder bleibt in Grätz, Brünn oder so, bis er
ihr etwas anderes schreibt. Sie ist nicht mehr hier, sonst wäre
ich zu ihr gegangen.
Soeben kommt Dein lieber Brief vom 9. Ich danke Dir un-
endlich und gehe nun ruhiger ab. Ich reise heut abend.


2. Humboldt an Caroline           Karlsbad, Montag, 15. Junius 1812

Ich schreibe Dir in Goethes Stube, liebe, teure Li, weil ich
immer mit ihm zusammen bin, ohne jedoch bei ihm zu
wohnen. [Hier folgt die irrige Nachricht einer schweren
Erkrankung der Fürstin von Rudolstadt.] Stirbt sie, so ist schlechter-
dings in dem ganzen, weiten Deutschland nur noch Goethe übrig
und die Wolzogen ***), die uns hier Gegenstände der Sehnsucht und
hoher Umgangsfreude sein können.
Auch in Goethen spürt man das Alter sehr. Nicht im Geistigen.

———
*) Napoleon.
**) Karl Freiherr vom und zum Stein, geb. 1757, † 1831, preußischer Minister.
***) Caroline v. Wolzogen, geborene v. Lengefeld, geb. 1763, † 1847.

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