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[   Band 4 Brief 124:    Humboldt an Caroline    Chatillon, 4. Februar 1814   ]


Man sieht ihm das Bestreben an, höflich und liebenswürdig
zu scheinen, er ist auch im Grunde ein hübscher Mann, hat aber
doch einen Ausdruck von Leerheit und Flachheit, der auf die Länge
nicht gefallen kann.
Castlereagh ist heute auch gekommen. Es kann keinen größeren
Kontrast als diese zwei Menschen geben. Castlereagh ist immer
ruhig, immer klar, vernünftig und äußerst gemäßigt. Er hat nicht
die mindeste kleinliche Ansicht. Er wird eigentlich nicht in den
Konferenzen mit erscheinen und gar nicht selbst unterhandeln. Er
macht aber demungeachtet gar keine Umstände, Caulaincourt morgen
eine Visite zu machen und bei ihm und mit ihm bei uns zu essen.
Der Kaiser und Metternich sind jetzt vermutlich in Bar sur Aube.
Napoleon hatte sich in eine ziemlich feste Stellung gesetzt. Viele
meinen, die ganze alte Garde wäre außer dem Gefecht geblieben.
Bei Gelegenheit der Garde fällt mir ein Wort ein, was ich
Dir zu erzählen vergessen. Hinter Vesoul begegnete ich wohl 80
Franzosen, die von der Garde desertiert waren. Wie sie vor meinem
Wagen vorbeigingen, riefen sie immer ganz laut: »Allez, allez
toujours à Paris, nous allons chez nous«. Eine göttliche vater-
ländische Gesinnung.
Hier der eigenhändige Brief Blüchers, den ich Dir neulich
abschrieb. Er kann Dich wegen der Orthographie für Theodor
trösten. Sei so gut, und schicke ihn Goethen mit einigen Zeilen. . . .


125. Humboldt an Caroline              Chatillon, 7. Februar 1814

Es ist mir äußerst fatal, daß mir unsere Art zu leben hier
die hübschen und ruhigen Stunden nimmt, die ich sonst
immer Dir zu schreiben verwandte. Da man den ganzen
Tag mit Konferenzen, obgleich glücklicherweise nicht immer mit

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