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[   Band 4 Brief 160:    Humboldt an Caroline    Paris, 18. April 1814   ]


komisch. Sie nehmen ganz gravitätisch einen Ton an, wie ihn ein
altes Parlamentsglied in England haben könnte, und bedenken nicht,
daß ihnen die erste Bedingung zu jeder Konstitution, reine Unter-
werfung unter das Gesetz und uneigennützige Vaterlandsliebe, ganz
fehlt. Überhaupt ist es ein Volk, unter dem es sich, nach meinem
Gefühl, sehr gut leben läßt, aber von dem ich weder Herr noch
Diener sein möchte.
Ich habe schon die meisten unsrer alten Bekannten wiederge-
sehen. Sehr viele haben schon den Wunsch geäußert, daß ich als
Gesandter hier bleiben möchte, dies lehne ich aber immer ab.
Die Delambre *) hat mich sehr freundschaftlich empfangen.
Sie ist unendlich dick geworden. Überhaupt habe ich alle Leute,
die ich sonst hier kannte, um 14 Jahre älter, aber noch keinen nur
um einen Tag schöner gefunden. In Deutschland ist es umgekehrt,
man gewinnt da immer mit jedem Jahr. Bei der Schönheit
muß ich Dir auch erzählen, daß ich mich hier wieder pudern lasse,
und daß meine Hände schneeweiß sind.
Napoleon sollte gestern abreisen, er war es aber heute noch
nicht. Er spricht, wie man hier mit Gewißheit weiß, über die
Vergangenheit wie ein Schauspieler, der eine Tragödie gespielt hat.
Er lobt und tadelt einzelne Dinge in der neuen Konstitution,
redet sehr gut von Ludwig XVIII., sagt, daß dieses Ende das beste
sei, was die ganze Sache habe nehmen können, mokiert sich aber sehr
bitter über den Senat und den Artikel der Teilung der Dotationen
und meint, die Herren wären schon zu seiner Zeit ebenso gewesen.
Wenn das alles nicht tragisch wäre, wäre es eine wahre
Komödie.
August Staël **) ist mit dem Kronprinzen von Schweden her-

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*) Gattin des bekannten französischen Astronomen, mit Humboldts seit
deren erstem Pariser Aufenthalt bekannt.
**) August v. Staël-Holstein, geb. 1790, † 1827.

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