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[   Band 4 Brief 246:    Humboldt an Caroline    Wien, 23. Februar 1815   ]


und dann wird man mit Würde und auf edle Weise auftreten
können. Aber man muß unendlich gerüstet und gewaffnet sein,
leiblich und geistig, und man muß aus der Nation alles Kleinliche,
Kindische bannen, selbst zu große Liebe zu Ruhe und häuslichem
Genuß, man muß sich berufen fühlen zu großen Ereignissen
und zu schicksalschweren Taten, sonst geht es nie und
nimmermehr.
Es scheint wirklich, als sollte der Kongreß nun zu seinem Ende
gelangen. Der Kaiser Alexander scheint beim 15. März als Ab-
reisetag zu bleiben.
Zu den Amüsements der großen Welt hier gehört auch eine
Wette, die neulich der Kaiser Alexander mit Flore Wrbna gemacht
hat, wer sich würde am schnellsten ganz und gar anziehen können.
Sie sind abends beide im Negligé zur Zichy *) gekommen und haben
sich nun in den größten Hofstaat gesetzt. Flore hat gewonnen.
Sie hat sich in 1 1/2, der Kaiser in 2 1/2 Minuten angezogen. Wie
er wieder in den Salon getreten ist, hat er alle übrigen anwesenden
Damen auch völlig angezogen gefunden und zwar in einer Art
Maskerade in alten Hoftrachten. Wie das alles geistreich und
amüsant ist!
Du fragst mich, ob der König den Kaisertitel annehme? Das
würde er nicht wollen und wäre nicht durchzusetzen. Auch können
wir ohne den Namen gleich viel Einfluß haben.
Aber solltest du denken (dies unter uns), daß Stein jetzt
die Tollheit hat, darauf und durch Rußland zu arbeiten, daß
man Österreich als Kaiser anerkenne, Österreich, dem politisch
fast gleichgültig sein kann, ob Frankreich wieder einen Teil der
Rheinprovinzen nimmt oder nicht, wie mir Gentz selbst gestanden hat!
Das Göttliche ist, daß Stein in seinem Aufsatz eine überlange,

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*) Gräfin Julie Zichy, geborene Gräfin Festetics.

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