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[   Band 4 Brief 262:    Humboldt an Caroline    Wien, 30. März 1815   ]


262. Humboldt an Caroline                          Wien, 30. März 1815

Grolman habe ich an Lützows Heirat erinnert. Grüße
Carl *) innigst von mir und wünsche ihm herzlich Glück.
Es ist eigen, daß er jetzt ein so stilles Leben führt und
ich ein so unruhiges. Ich kann mich tief in das seinige hinein-
denken und beneide es ihm wohl. Indes wenn ich wahr sein will,
muß ich doch gestehen, daß ich, seitdem die Umstände wieder sehr
schicksalschwer werden, ein neues Leben in mir fühle. Die Gefahr
zieht mich immer an, und jetzt, da die laue Frühlingsluft hinzu-
kommt, sehne ich mich hinaus in das Leben, das doch nun endlich
den langen Kampf entscheiden muß.
Von Napoleon wissen wir nur, was die Zeitungen sagen, die
wir bis zum 22. kennen. Er führt ganz das alte Leben, und es
ist, als wäre kaum eine Änderung gewesen. Dieselbe Nationalgarde,
die für den König sterben wollte, hat sich gleich nach seiner Ankunft
von ihm mustern lassen. Der König ist am 20. um 1 Uhr morgens
abgereist, Napoleon am Abend um 8 eingezogen. Der König ist
nach Lille zu gegangen. Auch eine wahre Emigrantenstraße. Nach
Bordeaux oder überall anders tief ins Reich hinein, wäre
würdiger gewesen.
Hast Du schon davon gehört, daß Radziwill Gouverneur
unserer jetzigen polnischen Provinzen werden soll? Ich halte das
für sehr verderblich und habe es dem Staatskanzler gesagt und
ihm selbst zu verstehen gegeben. Allein vermutlich geschieht es doch.
Von Beauharnais Arrestation ist man weit entfernt. Noch geht
er in alle Gesellschaften. Die Absicht, gefährlich zu sein, hat er ge-
wiß immer, und jetzt besonders kann er es auch sein.
Der alte Sickingen, der heute abend bei mir war, und der
noch eben mit dem Kaiser, der Marie Louise und dem kleinen Römer-

———
*) v. Laroche.

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