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[   Band 4 Brief 275:    Caroline an Humboldt     Berlin, 11. Mai 1815   ]


275. Caroline an Humboldt                  Berlin, 11. Mai 1815

Liebstes, teuerstes Herz!
Ich lag gestern in einer sehr argen Migräne, als Deine
beiden Briefe vom 5. Mai ankamen. Ich konnte aber
doch der Versuchung nicht widerstehen, einen Blick in
Deine Briefe zu tun, und machte den zweiten zuerst auf. Die
Migräne war mir doch auch wie weggeblasen, nachdem ich die ersten
Zeilen und Deinen Vorfall mit Boyen gelesen hatte. Ich weiß
nichts darüber zu sagen, als daß es wirklich unglücklich zusammen-
treffende Dinge gibt, an die sich dann so etwas reiht. Offenbar
war Boyen durch ein vermeintes Mißtrauen, durch ein geglaubtes
Heimlichtun vor ihm gereizt und beleidigt. Unbegreiflich ist’s, wie
einem so ernsten, so in jeder Art ehrenwerten Mann, wie Boyen
ist, und in einer Zeit, wo einem der Sinn auf alles Ernste und
Wichtige und ihm nun noch ganz besonders gerichtet sein muß, wie
ihm eine solche Kleinigkeit, wie die, die Veranlassung gegeben hat,
nur so hat auffallen können — so aber ist’s. Der Mensch hat
schwache Augenblicke, davon ist keiner frei — und wie es einmal
war, so hätte ich selbst, wenn ich bei Dir gewesen wäre und Du
mich wert gefunden hättest, mit mir darüber zu sprechen, Dir keinen
anderen Rat geben können, als wie Du es gemacht hast.
Es ist immer kurios, was man für aufgeerbte Empfindungen
über ein Duell hat, sie lassen sich nie wegräsonnieren, und ich ließe
nie eins zweifelhaft. 
Der Spaß fehlt Dir doch aber nie, mein Herz. Die Baguette,
das Essen gleich den Homerischen Helden, die Ritter im Ariost, wirk-
lich, mein süßes Herz, Du bist einzig.
Gott Lob aber, daß es so abgegangen ist, das sag ich, wie der
arme Wolzogen es gewiß auch in seiner innersten Seele gesagt hat.
Es hätte auch sehr schlimm werden können. Ob niemand etwas

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