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[   Band 5 Brief 60:    Humboldt an Caroline    Frankfurt, 1. Dezember 1815   ]


Ich werde, was ich auch manchmal für Plane darauf mache, doch
schwerlich, solange ich lebe, aufhören zu dienen, und so bin ich
durch meine Besoldung immer gesichert.
Mit der Varnhagen hast Du ganz recht. Indes konnte ich
es heute nicht lassen, da mir einer sagte, was die feine, parisisch
erzogene Großherzogin sagen würde, wenn die Jüdin zu ihr käme,
[zu erwidern] daß sie beide Parvenüs wären und sich recht gut
zusammen schickten. *)
Über die Würde des Staats urteilst Du auch, wie man immer
sollte. In den Stellenbesetzungen hat der Kanzler allerdings zu
laxe Begriffe, und überhaupt ist es wunderbar, daß er bei hoher
innerer und äußerer Würde sich wenig scheut, auch mit den darin
sehr Ungleichartigen sich einzulassen. Ich kämpfe oft, aber ver-
geblich dagegen.
Es ist mir sehr lieb, daß Du mir einen besseren Begriff von
Beuth beibringst. Er gehörte zu denen, die den Kanzler umgaben,
ehe er in seine jetzige Stelle eintrat, als er einige Wochen in der
Nähe von Berlin war, und stand nicht in gutem Ruf. Ich selbst
hatte Vorurteil gegen ihn.
Canova hat alles [an Kunstwerken] wegnehmen können, er hat
aber den Tiber und die große tragische Muse stehen lassen.
Überhaupt haben alle einiges gelassen. Österreich die Hochzeit von
Cana von Paul Veronese und anderes. Der König der Niederlande
auch einige bedeutende Stücke. Wir bloß die unter dem Gewölbe
stehenden Säulen und einen Kirschkern, auf dem 140 Gesichter ge-
schnitten sind. Dies letzte sage ich im Spaß, D[?] nämlich machte
die Preußen immer damit lächerlich, daß sie ihn ängstigten, um den
Kirschkern aufzusuchen, und Alexander wußte das sehr drollig zu
erzählen. Ich erinnere mich wirklich, diesen Kirschkern als Kind in

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*) Die Gemahlin des 1811 bis 1818 regierenden Großherzogs Karl von
Baden war Stephanie Beauharnais, Adoptivtochter Napoleons.

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