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[   Band 5 Brief 65:    Humboldt an Caroline    Frankfurt, 17. Dezember 1815   ]


der Linden vor dem Universitätsgebäude hinstellen. So hätte ich
das schönste Antike und Moderne verpflanzt und dem Lande zu eigen
gemacht, dann sollte mir aber auch niemand mehr von Kunstwerken
reden, das reichte für eine Regierung und für Bewunderung und
Studium auf lange hin.
Ich habe den Agamemnon noch einmal ganz durchgelesen und
verglichen und noch einiges geändert. Diese Änderungen nebst
meinen Bestellungen wegen des Drucks nimmt nun Eichhorn mit
nach Leipzig an Hermann und so kann der Druck gleich anfangen.
Ich habe große Lust doch auch noch den Pindar zu vollenden.
Allein wenn ich das tue, so lasse ich die schon übersetzten Oden ganz
so abdrucken wie sie sind. Beim Agamemnon war das nicht möglich,
da in demselben Stück doch Gleichförmigkeit sein muß. Zu diesem
Fertigmachen dieser beiden Arbeiten zieht es mich wie eine Schuld
hin, die ich gegen unser erstes einsames Zusammenleben habe. Es
waren die schönsten Zeiten unsers Leben, und mir ist immer, als
könnte man ihnen auch in der Erinnerung nie genug Sorgfalt
weihen.
Bei alle dem mußt Du aber nicht denken, daß ich gar nichts
zu tun habe oder mich verschließe. Ich nehme alle Menschen an,
gehe abends doch von drei Tagen gewiß zwei aus und bin keinen
Brief schuldig. Aber ich weiß nicht woher es kommt, der Tag ist
hier besonders lang und meine Stimmung sehr gut. Jetzt, da ich
einmal erst vom Agamemnon komme, will ich noch einmal alle
Tragödien lesen, die diese Fabel behandeln. Es sind die größesten
Gestalten des Altertums.
Lebe wohl, mein teures, ewig liebes Wesen, umarme die Kinder.
Ewig Dein H.

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