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[   Band 5 Brief 168:    Humboldt an Caroline    Berlin, 11. Julius 1817   ]


ist sehr abgespannt. Den Abend war ich bei Prinzessin Luise.
Sie geht morgen fort. Gneisenau war noch da, er ist heute ab-
gereist. Er war noch um 8 heute früh bei mir, und sein letztes
Wort war von Dir und Grüße an Dich und die Kinder. Er ist
Dir sichtbar und vorzugsweise gut. Er hat an den jetzigen Ge-
schäften keinen lebhaften, sondern einen Anteil genommen, den man
eher einen vorsichtigen nennen könnte. Dagegen ist Grolman
und mit viel natürlicher Beredsamkeit vorgetreten. Überhaupt
waren die fünf Staatsratssitzungen ordentliche Zeiten der Prüfung.
Heute bin ich wieder beim Staatskanzler zu Mittag und den
Abend bei der Prinzessin gewesen, wo noch zuletzt alle Welt einem
recht geflissentlich bewies, das man auch da Langeweile haben kann.
Bei Gelegenheit der Langeweile muß ich Dir eine himmlische
Stelle aus einer Depesche von Varnhagen abschreiben, die ich eben
vor mir liegen habe. Er spricht von Rostopschin *), der in Baden
gewesen ist, und schließt mit folgenden Worten: »In seiner Art
hat er eine gewisse Ähnlichkeit mit dem Herrn Staatsminister von
Humboldt, dieselbe scheinbare Kälte, unter welcher sich denn doch
die Wärme der Empfindung nicht ganz verdecken kann, dieselbe
Schärfe und Eigenheit des Witzes, der auch oft aus der gleichen
Quelle zu kommen scheint, nämlich aus der Ungeduld die Langeweile
zu ertragen, die sich an die gewöhnlichen Gespräche so gern an-
schließt, und der man, wenn der fremde ausbleibt, nur durch
eignen Witz entgehen kann.« So albern es auch ist, so etwas in
Depeschen zu schreiben, so ist die Bemerkung doch sehr hübsch und
oft in Anwendung auf mich wahr. Sie zeichnet die völlige Ab-
wesenheit der Lust zu glänzen bei den Einfällen, und insofern kann
ich sehr zufrieden damit sein, und wirklich bin ich oft nur aus Ber-

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*) Graf Rostopschin, geb. 1763, † 1826, russischer General, dem man
den Brand von Moskau 1812 zuschrieb, war 1814 mit Kaiser Alexander I.
auf dem Wiener Kongreß.

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