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[   Band 6 Brief 37:    Caroline an Humboldt     Rom, 1. Januar 1818   ]


Schwärmerisches im Blick, was sich alles auch wieder in seinen
Gemälden ausdrückt. Der selige Schick hatte gleich ein schönes
Talent in ihm erkannt, und Thorwaldsen sagt mir täglich, wie viel
höher er als Künstler als sein Bruder, der Bildhauer, steht.
Ich muß endigen. Oh, daß ich mit jedem Brief meine Liebe
und Sehnsucht Dir hinübersenden könnte!


38. Humboldt an Caroline                   London, 2. Januar 1818

Acht und einen halben Monat sind wir nun getrennt, liebe
Li, und mit großer Freude schreibe ich die neue Jahres-
zahl. Sie ändert nun nicht wieder, ehe wir beisammen
sind, und auf jeden Fall hoffe ich, sind wir über die Mitte der
trüben Trennung hinausgerückt.
Vorgestern am Schluß des Jahres war ein Nebeltag, wie wir
noch nicht hier erlebt hatten. Auch in engen Straßen sah man
die anderen Häuser gegenüber nicht, sondern fuhr oder ging wirk-
lich wie auf hohen Gebirgen vom dichtesten Duft umgeben. Von
Zeit zu Zeit war er gelb, er kam aber diesmal nicht in die Stuben.
Unglücklicherweise hatte ich mit Hamilton *), der ein sehr angenehmer
Mann ist und den größten Anteil am Zurückkommen der Kunst-
werke nach Rom hat, Partie gemacht, einige Bildhauerwerkstätten
zu sehen, was wir auch durchsetzten. Die Werkstätten sah man
noch ziemlich gut, sogar in einer Canovas Hebe — wie Du auch
lachen magst — von so einem gelben Nebelstrahl höchst magisch
beleuchtet. Endlich kamen wir aber auch zu dem Abguß des
Kolossen **), den Dey hier für Geld zeigt. So etwas schauerlich

———
*) Unterstaatssekretär. Vgl. Bd. V, S. 78.
**) Vgl. S. 65.

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