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[   Band 6 Brief 93:    Humboldt an Caroline    London, 16. Junius 1818   ]


lebendig in Deiner Seele, und es ist mit diesem Andenken eine 
Wehmut verbunden, die immer nur an sich zieht, niemals zurück-
schreckt.
Ich habe neulich wieder von Dir geträumt, wenn Du willst,
ganz und gar nicht auf eine bedeutende Weise, ich stand mit Dir
und Du machtest etwas an Deinen Haaren zurecht, aber mit einer
so unglaublichen Klarheit und Deutlichkeit, daß, nachdem ich auf-
wachte, Dein Gesicht und Deine Gestalt bis auf die kleinsten, nur
mir bemerkbaren Züge vor mir stand und das liebe freundliche
Bild nur nach und nach in den Umrissen schwankend wurde. Wohl
ist, wie Du neulich schriebst, etwas Wunderbares in dem Traum,
unendliche Kraft und Wesenlosigkeit zugleich, und daß man so
wenig von dem träumt, was man am liebsten hat, das kommt mir
immer als eine innere, sich selbst unbewußte Scheu der Seele vor,
durch das Glück der Träume der Wirklichkeit des Lebens ganz
fremd zu werden. Denn wenn ich mir denke, daß ich mit der
Deutlichkeit wie neulich alle Nächte vom Einschlafen bis Erwachen
Dich mir nah haben könnte, so wäre das wahre und eigentliche
Dasein des Gemüts auf einmal in den Wahn versetzt, und man
würde am Leben und der Welt irre werden.


94. Humboldt an Caroline                 London, 19. Junius 1818

Es ist jetzt hier in London und in ganz England eine merk-
würdige aber ungemein unruhige Zeit, die der allgemeinen
Parlamentswahlen. Ein Parlament kann immer nur
sieben Jahre dauern, dann muß ein neues Unterhaus gewählt
werden, doch können dieselben Personen immer wieder dazukommen.

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