< zurück      Inhalt      vor >                                          
[   Band 6 Brief 209:    Humboldt an Caroline    Frankfurt, 28. Mai 1819   ]


die Leidenschaftlichkeit des Staatskanzlers, in meinen Händen hatte,
in kein öffentliches Leben einzugehen, habe fahren lassen. Es hätte
mir aber nichts geholfen, ihn zu benutzen. Die Sache wäre nur
aufgeschoben gewesen, und man hätte mich immer im Auge be-
halten, um mich unter anderen Umständen wieder heranzuziehen. Da
mir einmal das Los geworden ist, daß man mich für notwendig
bei uns hält, so muß ich ans Ziel kommen, und dies Ziel nenne
ich, daß ich wirklich glücklich genug bin, die Erwartungen zu er-
füllen, oder so unglücklich, zu scheitern, oder daß Umstände und Er-
eignisse kommen, die auf irgendeine Art und Weise machen, daß
der Versuch, den man mit mir und ich mit der Sache wage, nicht
rein entschieden wird, wie es so oft in der Welt geht.
Bei Gelegenheit meiner Lebensweise wollte ich noch sagen,
daß, solange Stein hier war und ich fast alle Abend zu ihm ging,
ich selten viel vor Mitternacht zurückkam, und es ist sonderbar
genug, daß Stein, der auch am liebsten um 10 zu Bett geht, mich
verführte. Aber es liegt an der Frau. Sie ißt immer abends, und
erst nach 10. Nach 9 auch gingen erst die anderen Menschen, die etwa
hinkamen, weg, und so fing das hübsche Zusammensein erst spät an.
Es ist überhaupt, und ich werde es Dir mündlich erst recht
erzählen können, wunderbar, wie verschieden in allen kleinen Lebens-
gewohnheiten selbst die beiden sind, aber wie gutmütig, liebevoll und
zart er dies Verhältnis behandelt. Ich habe es erst in Nassau,
wo wir freier miteinander darüber gesprochen, recht einsehen ge-
lernt. Er ist wirklich einer der trefflichsten Menschen, von einer
Schärfe und Bestimmtheit der Grundsätze, wie es ungemein selten
ist, und von einer Billigkeit und Gutmütigkeit, die man ebenso-
wenig leicht findet. Dann tut es einem wohl, einen Mann dieser
Art im Hafen zu erblicken, seiner eigenen Meinung nach am Ende
dessen, was er hat tun und leisten können, und nun nur noch in
Ruhe, Betrachtung und Teilnahme lebend.

                                                                       553