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[   Band 7 Brief 85:    Caroline an Humboldt     Marienbad, 20. August 1823   ]


Spuren des sehr vorgeschrittenen Alters, und mir ist’s sehr lieb,
daß Du nicht länger zögern wirst, ihn noch einmal zu sehen. Wie
scheinbar kräftig der schöne Greis auch dastand, es kam mir doch
vor, als sei sein irdisch Ziel nicht fern mehr. Sein Auge fand ich
sehr verändert, nicht trübe, aber um die Pupille herum einen weiten
blaßblauen Kreis — mir war, wie ich hineinschaute, als suche das
Auge ein anderes Licht und andere Sonnen. —
Sein Interesse am Wissenschaftlichen bleibt rege. Es kam die
Rede auf Liboschütz und die Produktionen, die er aus Sibirien
mitgebracht, von denen ich letzthin schrieb. Er erfaßte sogleich,
was ich ihm erzählte, mit großer Lebhaftigkeit, und wenn nicht
seine Sachen schon gepackt gewesen wären, so glaube ich, er wäre
geblieben, um den Doktor Liboschütz hier abzuwarten und seinen
Goldkristall zu sehen. Den hatte er bei sich, etwa so lang wie ein
Gelenk am kleinen Finger. Es soll ein sehr merkwürdiges Stück
sein. Liboschützens Sammlung, obgleich klein, hat mich selbst un-
endlich interessiert, und seit vorigem Winter hat mir Alexander
viel Wißbegierde über all diese Dinge eingeflößt.
Goethe sprach, wie ein junger Mann über sein wissenschaft-
liches Treiben es könnte. »Man muß sich die Erde,« sagte er,
»wenigstens das Stück, das man abreichen kann, wie einen Kreis
denken, in dessen Mittelpunkt man steht, und ein Dreieck nach dem
anderen untersuchen.«


86. Humboldt an Caroline                     Tegel, 22. August 1823

Wie mag es Dir gehen, liebe, süße Li? Wenn Du nur so schönes
Wetter hast, wie wir hier. Es war heute himmlisch,
vorzüglich der Abend. Ein Mondschein, von dem man
sich keinen Begriff macht. Ich ging bis nach 8 auf dem Berg

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