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[   Band 7 Brief 163:    Humboldt an Caroline    Rudolstadt, 3. Januar 1827   ]


Der Großherzog hat mich den Neujahrstag nach der Gratu-
lation den ganzen Morgen bei sich behalten. Er ist ungemein
freundschaftlich wie immer mit mir gewesen und hat mir noch beim
Abschiednehmen, als er mich vorgestern in seinem Wagen von der
Heigendorf wie gewöhnlich mitnahm, gesagt, es freue ihn immer
so, wenn er die Leute, wie er an mir sähe, nach Jahren so in
ihrer alten Weise und Humor wiederfände, und daß es sonderbar
sei, daß er mich, den er so gern um sich hätte, gerade so selten
und kurz sehen müßte.
Von Goethen habe ich am Neujahrstag, wo ich den ganzen
Tag fast nicht vom Schloß weggekommen bin, nur einen Augen-
blick Abschied nehmen können. Aber ich sehe ihn morgen bei
meiner Durchreise durch Weimar noch. Daß Dir auch das   ver-
wickelt   im Schillerschen Brief aufgefallen ist, freut mich recht.
Ich dachte mir es gleich. Es ist eine ordentliche Phrase aus
Kabale und Liebe, aber gut an der Stelle gebraucht war sie auch
damals nicht.
Ich bin gestern früh zwischen 6 und 7 von Weimar hierher
gefahren, aber zu spät angekommen, um noch zu Mittag bei Hofe
zu sein. Auch ißt die verwitwete Fürstin nicht mehr mit. Sie
schickte mir aber gegen 5 den Wagen, und ich war bis 1/2 9 teils
bei ihr, teils mit ihr bei der Prinzessin Karl allein. Bloß die
Prinzessin Marie war noch beim Tee zugegen. Die Fürstin habe
ich bis auf ihre Augen, vor denen sie immer einen Schirm trägt,
gar nicht verändert gefunden. Sie ist gleich lebendig, geistvoll,
teilnehmend als immer, gegen mich erstaunlich gut. Nach Dir
und Carolinen hat sie sich recht von Herzen erkundigt und grüßt
tausendmal.
Ich esse heute Mittag bei der regierenden Fürstin *), wo ich

———
*) Vgl. S. 191.

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