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[   Band 1 Brief 60:    Caroline an Humboldt     [Auleben], den 22. Jun. 1790, 11 Uhr morgens   ]


er’s uns vielleicht noch selbst gestehen, daß er sich’s erst wurde in
Lauchstädt. Von meiner Seite — ich liebte ihn herzlich, mit dem
Gefühl, das ich jetzt, das ich ewig für ihn haben werde — ich
wußte, was ich ihm schuldig war, und aller Dank meiner Seele
löste sich so gern in dem schöneren Klang der Liebe auf — ich
hätte nie meine Hand vergeben — wenn, bei der obwaltenden Un-
möglichkeit, sein zu sein — ihm das ein Trost gewesen wäre, daß
ich keinem angehöre, das alles fühlte ich, hatte mir’s hundertmal
gesagt und war darüber mit meinem Herzen im reinen. Und
wenn ich so zwischen Euch stand, wenn ich Euch nacheinander an-
sah — ich hatte Dich eigentlich in diesem Verhältnis zu mir fast
nie gedacht, ich ahndete im Grund mehr über Dich, als ich gesehen
hatte, denn wir hatten ja so wenig zusammen gelebt und uns auch
noch so wenig geschrieben — dennoch, o Wilhelm, kam mir unzählige
Male der Gedanke, um mit diesem glücklich zu leben, muß er mir
sein, alles, was er mir ist, und ich muß das Glück fühlen, das ich
seinem Herzen gebe, mit jenem? — Ach, in der Anbetung seines
Geistes, in dem Reichtum und der Fülle seines Wesens könnt ich
ein entzückendes Dasein genießen, wenn er den reinen Klang fühlte,
den mein Herz dem seinen zurückzugeben vermag. —
Und nun, da in meiner Seele alle Gefühle, die sonst nur die
Folgen einziger, ausschließender Liebe sind, ihr vorangegangen, dürft
ich da mir nicht sagen, daß ihre Blüte unsterblich ist? — Daß Du
mein sein wirst, ich Dein, in allen Wandlungen unsres Wesens?
O Wilhelm, — komm in meine Arme, daß meine Seele in Dich
überströme und ich die Deine empfange.

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