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[   Band 3 Brief 79:    Humboldt an Caroline    Königsberg, 30. Mai 1809   ]


79. Humboldt an Caroline            Königsberg, 30. Mai 1809

Hier ist alles in gleicher Ungewißheit und Unentschiedenheit;
die Maßregel, die man heute nimmt, wird durch eine un-
vorhergesehene Begebenheit morgen unmöglich oder unnütz
gemacht. Man hängt überall von Menschen, Verhältnissen, Er-
eignissen ab. Doch verzeih die ewigen Klagen!
Das Wetter ist jetzt sehr schön hier, warm und sommerlich. Man
sagt, daß einige Sommertage hier ungemein heiß würden, das muß
man abwarten. Wirklich hat dieser Norden einige sehr plötzliche
Erscheinungen. So ist das Wachsen der Blätter und des Grüns über-
haupt ordentlich komisch wegen der Schnelligkeit. Es ist, als fühlten
die armen Pflanzen, daß die Freude nur kurz sein wird. Es geschieht
eben hier zuweilen, daß noch Schnee auf die grünen Blätter fällt.
Ein Amüsement, das ich jetzt mir manchmal mache, ist ein
Marionettentheater, das wirklich recht hübsch ist. Man spielt
Stücke von Mahlmann, Falk u. a., worin sehr lustige und jetzt
auch bedeutende Dinge vorkommen. Die Puppen werden gut
maniiert und Doktor Faust, den ich vorgestern sah, war wirklich sehr
hübsch. Prinz Radziwill, einige Offiziere, eine Gattung Menschen,
die jetzt zu den besten hier gehört, und ich haben die Sache sehr
en train gebracht, und es geht jetzt auch beau monde hin, ob sie
gleich sich noch immer mit den Phrasen entschuldigen, daß man
doch alles sehen müsse, einmal so etwas wohl angehe usf. wie in
Goethes Jahrmarktspiel. Indes zeigt sich auch hierbei, wie wenig
amüsable die Menschen sind. Schlegels Diktum von der ernsthaften
Bestie fällt mir tausendmal ein, und man ist wahrlich in Verlegenheit,
auf welches Wort man den Akzent legen soll. Der Prinz Zeisig,
die betrogenen Teufel, sind wirklich Stücke von viel Talent, die man
zehnmal lieber sieht, als die Menge elender oder mittelmäßiger
Kotzebuescher oder Ifflandischer Dramen. Neulich beim Kronprinzen,

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