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[   Band 3 Brief 107:    Humboldt an Caroline    Königsberg,  18. August 1809   ]


Jetzt denke ich noch immer mir Dich mit der Gegend und die
Gegend mit Dir. Es ist mir unmöglich, eins vom andern zu
scheiden. Erst wenn Du einmal hier sein wirst, werde ich fühlen,
ob und wie viel Anteil Land und Himmel daran haben. Aber jetzt
ist es die reichste, innigste und harmonischeste Sehnsucht, die man
sich denken kann, in der Dein Bild mit dem der großen Natur in
eins zusammenfließt, es ist alles Beste und Höchste, was ich je
empfunden und geliebt habe, in eins verknüpft, und was mir
irgend in mir selbst lieb ist, kann ich dahin wie zu seinem Ursprung
zurückführen. Denn wie groß auch der Reichtum der Menschen
und Dinge ist, wie freilich das eine vom andern übertroffen werden
kann, so gibt es gewisse Punkte, bei denen man innerlich mit ein-
facher aber unumstößlicher Gewißheit fühlt, daß man nach ihm nun
der ganzen Mannigfaltigkeit der übrigen Welt nicht mehr bedarf,
daß das rollende Rad des Lebens sich in Gleichgewicht gewiegt
hat, daß, wenn erst die Erde nicht weit genug schien, die Wünsche
befriedigend zu fassen, jetzt das Herz nicht groß genug ist, alles in
sich aufzunehmen, was in dem einzigen Punkte verborgen liegt.
Ohne das gäbe es keine Liebe und vor allem keine Treue mehr, die
wieder in der Liebe, wenn sie sich scheiden ließe, das Schönste und
das Rührendste ist, aber auch für Gegenden und leblose Gegen-
stände gilt dieselbe Empfindung, und ich habe sie tief im Herzen
für Rom. Man fragt dann nicht mehr, was schöner sein könne;
der Maßstab des Schönsten ist in dem Einen gegeben. Vielleicht
gehst Du jetzt in der Galerie in Albano; es ist noch früh, etwa
nur sechs, aber Du liebtest manchmal diese Morgenspaziergänge.
Grüße alle hübschen Stellen von mir!
. . . Ich habe neulich einen langen Bericht über den Zustand
der Kunstakadenne von Uhden *) bekommen und kämpfe jetzt um Geld

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*) Vgl. S. 62.

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