< zurück      Inhalt      vor >                                          
[   Band 3 Brief 147:    Humboldt an Caroline    Erfurt, 22. Dezember 1809   ]


147. Humboldt an Caroline                Erfurt, 22. Dezember 1809

Ich bin gestern abend angekommen und schreibe heute morgen
in Papas Wohnstube. Geschlafen habe ich oben, der
Platz ist mir einmal süß und gewohnt, und unten im
Hause ist’s mir schauerlich. Ich kann nicht leugnen, daß ich mit
eigenen melancholischen Empfindungen hineingefahren bin. Papa
war freilich sehr alt, und sein letztes schwächliches, untätiges Leben,
bei dem er doch nie gern andere ganz frei gewähren ließ, für Dein
Vermögen sehr unvorteilhaft. Aber ich habe nie auf seinen Tod
gehofft, nie geklagt und es wäre auch ferner noch gegangen. Er
war dabei doch äußerst gutmütig, und es ist wirklich eine tief
wahre Empfindung in mir, daß ich ihm nie die nachsichtsvolle
Art vergessen habe, mit der er uns, als wir versprochen waren,
hat zusammen gewähren lassen. Bei seinen Ansichten und Vor-
urteilen war es immer viel. Dann hätte ich ihm die Freude ge-
gönnt, Dich und die Kinder noch einmal zu sehen. Und schon
ohne alle andere persönliche Anhänglichkeit hat ein ganz ödes, stilles
Haus, in dem man bloß einige alte Bediente herumwanken und
an allen Tischen und Schränken Gerichtssiegel hängen sieht, etwas
wirklich Schauerliches.
So war ich den ganzen Abend allein in mancherlei Betrachtungen
und Erinnerungen über Zukunft und Vergangenheit, wo wir einmal
sterben werden, wie unsere Kinder dann nach uns so ins leere Haus
kommen werden und wieder ihre usf. Deine und meine Familie
waren eigentlich im Untergehen, allein wie unsere Kinder sind, denke
ich, soll ein neues wohltätiges Geschlecht von ihnen anfangen.
Ich habe die beiden Mannlehngüter für 14000 Taler in Golde
dem Leutnant abgekauft und übernehme außerdem 4000 Taler, welche
die Schwägerin aus dem Mannlehngut bekommt, und wir schieden
vergnügt auseinander.

                                                                       300