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[   Band 4 Brief 83:    Humboldt an Caroline    Schlüchtern, 3. Nov. 1813   ]


Daß Du Stadion *) oft siehst, macht mir eine große Freude.
Ich liebe ihn außerordentlich und achte ihn ebenso sehr. Ich werde
nie vergessen, was er uns in einer schlimmen Zeit war.
Das Manifest von Bayern ist allerdings elend. Es ist am
Ende nicht einmal klar, ob sie wirklich dem Rheinbund entsagen.
Es ist gut, daß die Taten bei Hanau besser gewesen sind als die
Worte, darum kann man diese gern vergessen. Überhaupt ist der
alles bedeckende Mantel der Liebe jetzt das Beste und Wünschens-
würdigste. Darmstadt hat durch eine am 2. November geschlossene
Militärkonvention mit dem General Fresnel alle seine Truppen
zur Disposition der Alliierten gestellt und gar keine Bedingungen
gemacht. So zerfällt das nichtige Gebäude des Rheinbundes.
Und Napoleon gab sich das Ansehen, als wenn Friedrich II. nur
für Augenblicke seinen Staat aufgebaut hätte. Was er getan hat,
wird jetzt erst recht sichtbar, denn, was man auch sagen mag, der
Grund des jetzigen Impulses in Preußen kommt noch unleugbar
von ihm her.
Wundere Dich nicht, liebe Seele, daß ich Dir oft schreibe. Ich
tue nichts auf Erden so gern. Mein ganzes Leben ist eine ewige
Beschäftigung mit Dir und um Dich gewesen, es hat zu den
ersten Gefühlen meiner Jugend gehört, Dich glücklich zu machen,
und darin mein Glück zu finden, und dies ist unzertrennlich in
mein Wesen verwebt. Du bist so gut und hast mich so einzig
geliebt, und wer die Liebe nicht festzuhalten versteht, hat nie das
Wahre im Leben begriffen.
Gute Nacht, mein Innigstgeliebtes. Du liegst so ruhig und
geborgen. Hier sieht’s viel furchtbarer aus. Dicht neben mir ist
eine Kirche voll französischer Kranken, von denen sie noch eben einen
Toten heraustrugen, und auf dem Hofe riechts nach Leichen. Lebe
wohl, liebe süße Seele. Ich bin sehr heiter. Leben und Tod sind

———
*) Vgl. S. 22.

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