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[   Band 5 Brief 48:    Humboldt an Caroline    Paris, 21. Oktober 1815   ]


gibt, wo man Kraft und Einheit, die nicht wieder so persönlich
sind, anknüpfen kann. Dabei begnügen sich wenige, in ihrem Wir-
kungskreis zu bleiben. Alles will darüber hinaus.


49. Humboldt an Caroline                            Paris, 28. Oktober 1815

Ich habe Deinen lieben Brief vom 19. bekommen, geliebtes
Herz. Der Erbprinz, dessen Äußerungen über Deutsch-
land Du sehr recht hast, hübsch zu finden, wird vielleicht
mit diesem Briefe schon selbst bei Dir sein. Seine Gesinnung ist
immer tadellos, aber die Jugend gab ihm ehemals eine liebens-
würdige Lebendigkeit, die jetzt fast auf die Gestikulation eingeschränkt ist.
Allerdings ist es eine trostlose Idee, daß es kein Deutschland
geben sollte. Du hast aber sehr recht, zu sagen, daß es ein un-
sichtbares gibt, und ich glaube wie Du, daß es in kurzem ans
Licht treten wird, aber, schwerlich auf dem Wege, den man ihm
vorbereitet. Was Du vom Volk sagst, hat mich unendlich durch
seine Wahrheit ergriffen. Allerdings kann man nichts ohne das
Volk ausführen und bedarf seiner beständig. Aber man bedarf
noch viel mehr, um recht zu handeln und verkehrtem Handeln zu-
vorzukommen, seines Sinns und Gemütes, und die ganze, aber
darum auch für den Augenblick unheilbare Krankheit der Zeit ist
dieser furchtbare Zwiespalt zwischen denen, die das Rechte wollen,
und denen, die für das Rechte auch nicht einmal Sinn haben,
sondern in Schlaffheit und Blindheit alles halb und verkehrt machen.
Ehe das nicht aufhört, und solange die Menschen die Geschäfte
machen und regieren, die weder Grundsätze, noch Gemüt, noch Emp-
findung haben, und die anderen, die wenigstens fühlen, daß man
dies alles nicht entbehren kann, sich zwar das Regieren gefallen
lassen müssen, aber sich bewegen, tadeln, schreien, solange muß es

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