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[   Band 5 Brief 92:    Humboldt an Caroline    Frankfurt, 22. März 1816   ]


Berlin gekommen ist, nicht aufgehalten haben. Es tut mir aber
sehr leid. Er war einer von den Besten. Für Rauch sind es
übrigens schwere Aufgaben; denn man kommt da immer mit den
Kostümen in ein fürchterliches Gedränge.
Sucht aber Rauch nicht des Staatskanzlers Büste zu machen?
Ich dächte nicht, daß es eine gäbe, und der Staatskanzler ist nicht
schwierig. Er hat sich in Wien und Paris von ganz mittelmäßigen
Malern malen lassen. Er hat einen sehr schönen Kopf, der gerade zur
Büste recht dankbar sein müßte.
Du siehst, wie gut ich mich auf alles Kirchliche noch verstehe,
da Schleiermacher mit Gabriellchens Kommunizieren einverstanden
ist. In Paris können wir es alle zusammen tun, denn man
braucht sich ja nicht an den kleinen Unterschied der Konfession zu
stoßen.
Der Brief des lieben Wilhelm rührt mich immer tief, so oft
ich ihn ansehe. Ob wir je nur auch sein Grab wiedersehen werden?
Du wohl gewiß, aber von mir ist es mir sehr zweifelhaft.
Weißt Du, daß ich erst heute und plötzlich, da ich bei Steins
saß, und sie von ihrer Heirat *) sprachen, entdeckt habe, daß wir in
diesem Jahre 25 Jahre verheiratet sind? Mir macht so eine Ent-
deckung immer Freude, süßes, liebes Herz. Ich liebe die Zeit im
Glück, sie hat immer eine erhöhende und läuternde Kraft in den
Guten. Wenn wir nur jetzt wenigstens einige Jahre zusammen
bleiben können. Ich habe eine unendliche Sehnsucht danach, es ist das
Einzige, was mir fehlt, aber auch alles. Ich werde diesen Winter
nie vergessen, in dem ich meist über mir allein gesessen habe und
noch sitze, mich mehr als sonst je losgemacht habe von allem Fremden
und Äußeren, selbst den Dingen, die ich sonst liebte, und mich ein-
facher als je gefühlt habe in meinem Genuß, meinen Wünschen,
meiner Sehnsucht. Auch darum wünsche ich so sehr, daß Du mich

———
*) Stein war mit einer Gräfin v. Walmoden-Gimborn vermählt.

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