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[   Band 6 Brief 5:    Caroline an Humboldt     Rom, 18. Oktober 1817   ]


ewigflutenden Strom der Zeit nur noch dem Höchsten im lebenden
Menschen, dem Gedanken, angehört. Wenn man sich so in seine
Träume verliert, so wird die Vergangenheit gleichsam zu einem
großen geistigen Bilde in einem, und es schwebt über diesen Trümmern
ein Hauch des Lebens.
Wir irrten viele Stunden da herum, jeder für sich. August
suchte Steine und Pasten, das frischumgepflügte Feld lag voller
Fragmente, überall Bildnerei, überall Fleiß, überall der Sinn schöner
Form, womit diese Wohnungen der Toten so reichlich ausgestattet
waren. Mich dünkt, die Alten drückten unendlich mehr ihre Liebe
für ihre Toten aus als wir, und doch sollte der christliche Glaube
die Bande noch viel enger knüpfen. Das einzige, was ich nicht
wiederfinden konnte, ist der mit den großen Steinen eingefaßte Platz,
wo sie die Leichname verbrannten, um dann in »zierlicher Urne«
die Asche und die Gebeine zu sammeln.
Du sagst in Deinem lieben Briefe, Du seist kaum je so traurig
gewesen, als damals im April beim Scheiden in Potsdam. Ich
kann Dir schwören, daß es auch mir so ging. Wie gern ich nach
Italien ging, das Scheiden von Dir und Carolinens ununter-
brochenes Leiden hatten mich in eine unendlich trübe Stimmung
versetzt, und als wir an dem Morgen des 16. schieden, war es mir,
als zerschnitte man mir physisch das Herz. Jawohl, Gott Lob,
daß es besser mit Carolinen geworden ist. Man sieht gar nicht
ab, wohin das sonst geführt hätte. Von ihren Gesichtsschmerzen
ist nun seit beinah drei Monaten keine Spur. Ein Eisenwasser
ließe ich jetzt gern sie trinken, wenn Gelegenheit und Jahreszeit
danach wäre. . . . Man wird halb und halb ein Doktor, wenn
man sein Kind so lang beobachtet und pflegt. Ich glaube, es wird
sich machen, daß ich im Frühjahr nach Berlin mit Rauch reise.
Er kommt im März hierher und denkt selbst nach Berlin zu
gehen.

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