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[   Band 7 Brief 95:    Humboldt an Caroline    Weimar, 12. November 1823   ]


auch nicht Burgörner verlassen können, da ich ihn notwendig
sehen muß.
Nun lebe wohl! Umarme alle lieben Kinder und Kindeskinder.
Ewig Dein      H.


96. Humboldt an Caroline                  Weimar, 15. November 1823

Ich danke Dir herzlich, süßes Herz, für Deinen lieben Brief
vom 11., der mich hier sehr angenehm überrascht hat.. .
Ich habe heute einen sehr hübschen Abend gehabt.
Ich war mit Carolinen, die Dich innigst grüßt, und der Emilie
Schiller im Theater. Man gab Wallensteins Tod. Die Jage-
mann *) spielte die Thekla sehr gut, ob sie gleich zu alt und stark
für die Rolle ist. Hernach war ich bis 11 allein bei Carolinen,
die sehr liebenswürdig ist. Man ist ein ganz anderer Mensch,
wenn man aus einer Tragödie kommt, das habe ich immer gefühlt,
und heute wieder; wenn auch nur leidlich gespielt wird, geht doch
das Große so lebendig an einem vorüber. Das Schauspiel, würdig
und ruhig genossen, bleibt das Edelste aller Vergnügen.
Mit Carolinen haben wir viel der vergangenen Zeiten gedacht. Sie
hat mir einen Brief gezeigt, den ich ihr 1790 am 16. Januar aus
Dessau über Dich geschrieben. Es war mir in den Tagen in
Weimar erst recht aufgegangen, wie Du mich liebtest, süßes Herz,
und davon handelt eigentlich der Brief. Es ist eine Stelle darin,
die ich abschreibe, weil sie von unserer damaligen Zukunft spricht,
die nun auch wieder Vergangenheit ist. Ich sage von Dir: »Ich
fühl’ es, was sie mir jetzt ist, ist doch nur erst ein Schatten von
dem, was sie mir sein wird. Ihre Seele ist zu groß und reich,
als daß die meine sie schon jetzt ganz zu fassen vermöchte. Es ist

———
*) Caroline Jagemann, als Geliebte des Großherzogs Frau v. Heygendorf.

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