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[   Band 4 Brief 105:    Humboldt an Caroline    Freiburg, 23. Dezember  1813   ]


Pauline *) werde ich ordentlich gut, daß sie soviel mit Dir um-
geht. Grüße sie herzlich von mir. . . .


106. Humboldt an Caroline            Freiburg, 28. Dezember 1813

Ich habe heute einen still genußreichen Tag gehabt. Als
ich aufstand, war der Himmel ganz heiter, und die Sonne
kam eben hinter den Bergen hervor. Dann arbeitete
ich. Allein gegen 1 Uhr holte ich Metternich ab, um auf den
Turm zu gehen. Wenn Du Dich der Zeichnung erinnerst, so ist
unmittelbar unter den acht als Dach oben zusammenlaufenden
spitzigen Dreiecken, welche das Oberste bilden, ein Teil mit ungeheuer
langen, ganz offenen Fenstern. Bis dahin geht man gewöhnlich,
und von da an bis in die äußerste Spitze ist der Turm ganz leer
und gleichsam ein großes ganz à jour gearbeitetes Gemach, ein
himmlischer, ganz regelmäßiger, von den größesten und edelsten
Zieraten umgebener und aus den festesten Quadersteinen zusammen-
gefügter Saal. In die tausend Öffnungen der Kuppel aber sieht
der blaue Himmel herein, man kann sich keinen schöneren Anblick
denken. Wie jeder Teil in einem absoluten Gleichgewicht ruht
und alle so schlank, lustig und leicht in die Höhe streben, verliert
die Steinmasse allen Anschein der Schwere, gleicht nicht wie die
antiken und italienischen Kuppen einer toten Masse, die sich durch
Streber und Gegenstreber hält, sondern einem lebendigen Körper,
der eine von unten auf sich hebende Kraft besitzt.
Von da machten wir einen Spaziergang, dann aß ich zu Hause
und blieb bis gegen 9 Uhr bei mir. Der Mond, Orion, die
Venus lagen über den Bergen, deren Umrisse man nur wie durch

———
*) Vgl. S. 57.

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